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ARBEIT MIT TEILEN |
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Erfahrungen mit einem therapeutischen
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In der Arbeit mit schwer Erkrankten und Menschen,
deren Problematik sich einer willentlichen Beeinflussung entzieht,
entwickelte der Hypnotherapeut Wolfgang Lenk sein Konzept der Teile-Arbeit.
Meine eigenen Erfahrungen in der Arbeit mit Teilen - persönlich und
in der Begleitung von Menschen - haben mich mit einer Reihe heilsamer
Auffassungen vom Menschen verbunden.
Wer einwilligt,
den führt sein Geschick.
Wer sich verschließt,
den treibt es, richtungslos.
Vergil
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Auf eine nicht planbare Weise ist Teile-Arbeit das Medium, über das
ich auf meine existenzielle, mich bedrängende Frage, meine unwiederholbare,
ganz persönlich bedeutsame Antwort finden kann. Damit kann sie der
Schlüssel sein zu einem Erlebnisraum, in dem ich dem begegne, was
mich stärkt, verändert und dazu ermutigt, zu der Person zu werden,
die ich bin und sein kann. In der Teile-Arbeit bin ich gefordert,
das mir Mögliche zu tun, um so die Voraussetzung zu schaffen, dass
mir dazugetan werden kann. |
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1. Teile-Arbeit folgt einer alten
Spur |
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Das alte, griechische Wort Moira bedeutet Teil.
Es bezeichnete einst das dem Einzelnen zugeteilte Leben und Lebensglück,
als Teil seines gegebenen Schicksals. Der amerikanische Psychoanalytiker
James Hillman greift den Mythos der griechischen Schicksalsgöttinnen,
den Moiren, wieder auf. Auf seine Auslegung gründet er die Anregung,
unsere Biografie von hinten zu lesen, anstatt wie üblich von vorne.
Wenn wir dem linearen Schema folgen, dass wir so sind , weil wir erst
das und dann auch noch das erlebt haben, erscheinen wir häufig als
Opfer der uns prägenden Umstände. Wer wollte ihren Einfluss leugnen
? Wenn wir unser Leben dagegen von seinem vorläufigen oder tatsächlichen
Ende her aufrollen, so erkennen wir, dass vieles von dem was uns gehindert
hat, zugleich die unverzichtbare Voraussetzung dafür war, das etwas
förderliches sein konnte. In der jeweils akuten Situation wissen wir
nicht um den Stellenwert, den ein Ereignis langfristig in unserem
Leben haben wird. Vieles erschließt sich uns erst - wenn überhaupt
- in der Rückschau.
Die ihr Felsen und
Bäume bewohnet, o heilsame Nymphen
gebet Jeglichem gern, was er im Stillen begehrt.
Schaffet dem Traurigen Mut, dem Zweifelnden Belehrung Und
dem Liebenden gönnet, dass ihm begegne sein Glück, denn euch
gaben die Götter, was sie dem Menschen versagten,
jedem der euch vertraut, hilfreich und tröstend zu sein.
Goethe
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Wir wissen nicht, warum etwas sich so und nicht anders ereignet. Im
Nachhinein können wir sagen, was es uns trotz allem gegeben hat, was
wir daraus gelernt haben, welche Vertiefungen unser Leben dadurch
erfahren hat. Die Dinge des Lebens erscheinen weit weniger eindeutig.
Es tut sich ein Rätsel auf, das sich uns nie ganz enthüllt. Gleichzeitig
wird erkennbar, dass das Leichte und das Schwere nicht nur unser persönliches,
momentanes Glück und Unglück ausmachen. Beide erscheinen auch als
untrennbar miteinander verwobene Entwicklungshelfer, unumgängliche
Stationen auf einem unsichtbaren Weg. Auch als unseres Glückes Schmied
bleibt uns oft nur, in diesen Weg zu vertrauen. Wir spüren die Anforderungen,
die eine Krise oder Krankheit an uns stellt. Verstehen tun wir sie
oft nicht. Krise, Krankheit, Scheitern erscheinen auf dem Hintergrund
von Hillmans Überlegungen nicht primär als unser persönliches, innerpsychisches
oder systemisches Versagen. Sie sind Teil der Spur, der wir folgen;
Anfrage an das, was wir, jenseits von illusionären Wünschen, ganz
persönlich sind und sein können; Angebote, Sinn und Erfüllung zu erfahren;
aber auch die Konfrontation mit der verstörenden Erfahrung, dass all
unsere gewohnten Sinnmachereien an ihr Ende geraten sind; keine Rechnung
mehr aufgeht. Von diesem Standpunkt aus ist die Suche nach den Bestimmungsfaktoren
einer Krebspersönlichkeit nichts als ‚Haschen nach Wind'. Das deckt
sich mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung, die belegen,
dass es die defekte Krebspsyche ebenso wenig gibt, wie ein angeborenes
Scheiter-Gen. Dennoch kann Krankheit, Existenzbedrohung, Scheitern
uns die Spur verlieren lassen oder uns aufmerksam machen, dass wir
sie schon seit langem verloren hatten. |
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In der Teile-Arbeit wird meine ganz persönliche Lebensspur
sichtbar. Mein Vertrauen in den Weg, den sie aufzeigt, wird
ermutigt und gestärkt. |
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2. Begleitschutz inbegriffen |
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In einer der ersten Unterhaltungsserien dieser
Welt sorgt ein Gott dafür, dass ihr Held, Odysseus, schließlich und
endlich nach zehn langen Jahren der gefahrvollen Irrfahrt, den Heimathafen
erreicht. Er ist der unsichtbare Begleiter, der Handlungswege eröffnet,
Odysseus Kraft und Mut immer wieder finden lässt. Den Menschen der
Antike war klar, dass ihnen bei ihrem Tun und Lassen zugeschaut wird.
Sie glaubten nicht an ein: Ich denke, also bin Ich. Für sie galt:
Ich bin, weil an mich gedacht wird. Der alltägliche Kontakt zu den
vielen Mittlern zwischen menschlicher und Götterwelt war selbstverständlich. |
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Auch im Mittelalter fühlten sich die Menschen
begleitet. In ihrer Bilderwelt überbringen Engel frohe oder Traumbotschaften.
Der bis in die alltäglichen Verrichtungen reichende Kontakt zu den
allgegenwärtigen Mittlern zwischen den Welten war für den Menschen
dieser Zeit ebenso fraglos, wie für die Menschen der Antike der Verkehr
mit ihren zerstrittenen Göttern, Göttinnen und HalbgöttInnen. |
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Einige Jahrhunderte später schreibt Heinrich Heine,
Dichter und Gesellschaftskritiker einer gänzlich anderen Zeit, einen
heiteren Aufsatz über die Welt der Elementargeister. Er bedauert ihre
Verbannung aus unserer Vorstellungswelt. Die unerschaffene Welt der
Riesen, Zwerge, Elfen, Nymphen, Hexen, ist der Tatsache gewichen,
dass wir Aufgeklärten es in jeder Hinsicht besser wissen. Allenfalls
unsere Kinder dürfen sich noch an ihnen freuen und von ihren Kräften
profitieren. |
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Für Peter Sloterdijk ist die Zeitkrankheit Depression
Ausdruck der Tatsache, dass wir den Kontakt zu unserem inneren Begleiter
nicht mehr herstellen können. Dieser innere Zwilling, ist uns, wie
er glaubt, näher, als es selbst Eltern, Partner, Freunde sein können.
Der unbemerkte Kontaktverlust zu dem, was uns am Nächsten ist, hinterlässt
eine nicht zu schließende Lücke, ohne dass wir sagen könnten, worin
der gefühlte Mangel gründet . |
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In der Teile-Arbeit, ihrem Bezug zum Unerschaffenen, wird
der Kontakt zu dem, was mir am Nächsten ist wieder hergestellt.
Ich erfahre, dass ich nicht von allen guten Geistern verlassen
bin. |
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3. Wir Angewiesenen
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Für uns alle besteht das Leben aus einer Vielzahl
von Notwendigkeiten und Verbindlichkeiten. Unser Handeln folgt den
Gesetzen, die durch sie vorgegeben werden. Je ausgefüllter unser Tag,
je eingespannter in Notwendigkeit und Pflicht wir uns fühlen, umso
fragloser unser Tun. Wir glauben, dass das, was uns von morgens bis
abends auf den Beinen hält, alles ist, bis eine überraschende Begegnung,
ein unerwarteter Einbruch, eine unvorhersehbare Wendung uns eines
Besseren belehren. Das Offene ist immer und überall. Es heißt, dass
wir mit allem rechnen müssen, auch mit dem Schönen. Gleichzeitig lässt
sich mit dem Offenen nur sehr schwer rechnen. Wir können uns bestenfalls
gelassen bereithalten. Manchmal nicht einmal das, wenn es uns bereits
übel mitgespielt hat und wir uns ängstlich vor ihm zu versichern suchen.
Verbindlichkeiten und das allgegenwärtig Offene gehören zusammen.
Sie bilden die Heimat, in der wir immer schon sind, auch wenn wir
uns heimatlos, entwurzelt, aus der Bahn geworfen fühlen. Nur in einer
Wirklichkeit, in der die Welt der Verbindlichkeiten und das Offene
zusammenkommen, kann sich der Schrecken in seiner ganzen Wucht vollziehen,
ohne dass wir ihm gänzlich anheimfallen. Davon erzählt die Geschichte
des Mannes am Kreuz. Erst unsere Angst vor dem Offenen macht uns zu
Heimatvertriebenen die nicht anders können, als sich an ihre Verbindlichkeiten
zu klammern, um immer mehr von anwachsenden Sachzwängen und Angst
vorangetrieben zu werden. Die Fakten unserer von Notwendigkeit und
vorgegebenen Verbindlichkeiten bestimmten Welt können so erdrückend
sein, dass sie ganz und gar unerträglich sind. Wer nicht auf die Butterseite
des Lebens gefallen ist, kann sich in Umständen wiederfinden, die
ihn als Menschen ausweisen, der an Leib und Leben und in seiner Würde
bedroht ist. Das Leben kann uns zu Ausgelieferten und restlos Angewiesenen
machen. Die Realität unserer Verbindlichkeiten und das in allem aufscheinende
Offene sind auch dann untrennbar miteinander verbunden. Ob wir uns
dessen bewusst sind oder nicht, hat auf den Tatbestand selbst keinen
Einfluss. Er ist das Gegebene, dem wir uns verschließen oder stellen
können. Das Zusammenspiel von real existierenden Verbindlichkeiten
und allgegenwärtig Offenem nehmen wir als den fortlaufenden Fluss
unseres Lebens wahr. Ungewissheit umgibt das Beständige, das sich
unerwartet als instabil, bedrohlich, in seinen Ansprüchen überfordernd,
erweisen kann. |
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Mit Augustinus kam der Gedanke in die Welt, dass
all unser willentliches Bemühen nicht ausreichen wird, um den Anforderungen
eines guten Lebens gerecht zu werden. Er wies die Hoffnungen der Philosophen,
auf dem Wege von Einsicht und Vernunft die Welt zum Guten wenden zu
können, entschieden zurück. Auch für das Heer der heutigen Lebenshelfer
hätte er vermutlich nur ein müdes Lächeln übrig gehabt. Für Augustinus
käme ihr Angebot direkt aus dem Warenlager illusionärer Täuschungen,
die allesamt nur in die Hauptsünde der stolzen Überheblichkeit führen.
Es gibt ein Leben jenseits des Machbaren, auch wenn wir gefordert
sind, alles in unserer Kraft stehende zu geben. Nur da, wo das geschieht,
wird auch dazugegeben nach Gesetzen, die uns verborgen sind und bleiben.
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Teile-Arbeit ist ein lösungsorientierter Ansatz, der anerkennt,
dass ein Problem stärker sein kann, als der Mensch den es betrifft.
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4. Teile-Arbeit und Immunschutz |
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Gegen das launische Spiel der griechischen Götterwelt
setzte Sokrates die Schärfe des Verstandes. Als Erfinder und Meister
des zirkulären Fragens, misstraute er den übergroßen Gewissheiten
der Welt des Glaubens und der Verbindlichkeiten. In ihnen erkannte
er menschliche Konstruktionen, die sich so, aber eben auch ganz anders
sehen und gestalten ließen. Je mehr er in die Welt der denkenden Vernunft
eindrang, um so größer wurde seine Überzeugung, dass er nichts sicher
wissen könne. Er ging davon aus, dass wir Unwissende sind und bleiben.
Im Umgang mit der Ungewissheit wurde er Meister, der wie andere Meister
vor und nach ihm, selbst die Angst vor dem Tod verlor. Kritisch gegenüber
den Gewissheiten mythologischen Glaubens, sicher darin, dass sich
unser Leben nicht in seinen Verbindlichkeiten erschöpft, hörte Sokrates
beständig auf die Stimme seines Daimons, seinem treuen Begleiter,
der ihm nur ein einziges Mal zu-, aber immer wieder abriet. Als sein
ganz persönlicher Schutzgeist sorgte er für die Immunität seines Anvertrauten.
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In Peter Handkes Roman ‚Der Bildverlust' geht
es um den Verlust von Lebensräumen und Lebensintensität, den der Verlust
unserer inneren Bilder nach sich zieht. Heldin des Romans ist eine,
auf den Spuren ihrer verlorenen Bilder, reisende Bankkauffrau. Von
diesen sie seit der Kindheit begleitenden Bildern heißt es u.a.: |
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"Wie wirkten die Bilder? Sie erhöhten
ihr den Tag. Sie bekräftigten ihr die Gegenwart. Sie lebte von
ihnen: das hieß auch, sie benutzte und nutze sie. Sie verwendete
sie sogar für ihre Arbeit; ihre Unterneh- mungen; ihre Geschäfte......So
wie sie von dem Bildwerden lebte, in jedem Sinn, so lebte sie
für es. Und ihre Reservetruppe...benutzte sie ganz und gar nicht
zu gleichwelchem Kriegführen. Ein einziges solches sich und
sie aktivierendes Bild am Tag, und der bekam sein Friedensmuster
.....Diese Bilder...handelten von der, einer, einer Art Liebe....Und
sie war überzeugt, dass das jedem mehr oder weniger zustieß.
Wohl gehörte das jeweilige Bildobjekt zu eines jeden persönlicher
Welt. Aber das Bild, war universell. Es ging über ihn, sie ,
es hinaus. Kraft des offenen und öffnenden Bildes gehörten die
Leute zusammen......." |
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Die Frau in Handkes Roman wird begleitet und beschützt
von einer Reservetruppe in Sachen Frieden. Innerer Frieden ist sicherlich
für unsere Immunität von herausragender Bedeutung. Alles, was uns
hilft, ihn zu finden und zu bewahren, stärkt uns und unsere Fähigkeit
der Welt wie sie nun einmal ist, angstfrei zu begegnen. Innerer Frieden
sorgt auch dafür, dass wir die Angebote erkennen können, die das Leben
für uns bereithält; dass wir uns öffnen können; uns mit dem verbinden
können, was für uns da ist. Er ermöglicht auch, dass wir uns unseren
Schattenseiten, den zerstörerischen Neigungen, Verweigerungen und
Abschottungen stellen können. Je mehr wir auf die Formen lebensfeindlicher
Abwehr verzichten können, desto lernfähiger, lebenstüchtiger, stabiler
werden wir. Eine zunehmende Löslichkeit hilft uns dabei, uns wirklich
sicher zu fühlen. Sie führt uns heraus aus den Wüsten unnötiger Einsamkeit.
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Es gibt das, was uns an Leib und Leben, unsere
Existenz bedrohen kann. Auch für die Heldin in Handkes Roman bleibt
diese Realität bestehen und doch ist sie ihr nicht schutzlos ausgeliefert.
An einer Stelle heißt es dazu: |
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"...Angesichts der Bedrohung - nicht bloß
einmal auch mit einer Waffe - stellte sich so unvermittelt wie
gesetzmäßig ein Bild ein, jeweils nur ein einzelnes, welches
dafür aber so stark war, dass es ein Strahlschild zwischen sie
und den Angreifer projizierte..... und die Angegriffene wurde
dem Angreifer unantastbar." (S.25) |
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Ihre innere Bilderwelt ist für diese Frau ganz offensichtlich auch
eine Art Schutzgeist, der ihr ein instinktives Handeln im Interesse
der eigenen Immunität ermöglicht. |
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Wer nachts nicht schlafen kann, keine wirkliche
Ruhe und Erholung mehr findet und z. B. in einer Spezialklinik für
Abhilfe sorgen möchte, erfährt dort, dass er nach seinen Tagesrhythmen
gefragt wird. Welchen Rhythmen folgt mein persönliches Leben ? Kann
es sich überhaupt noch rhythmisch entfalten, oder wird ihm seit langer
Zeit der Takt aufgezwungen, nach dem es zu laufen hat ? Ein Zustand,
in dem das Gefühl für die mir entsprechenden Rhythmen mehr und mehr
verloren geht. "Schläft ein Lied in allen Dingen...", heißt es in
einem Gedicht. Sollte darin ein Fünkchen Wahrheit stecken, dann hieße
das auch, das alles seinen Rhythmus hat. Wer das Gefühl für die eigenen
Rhythmen verloren hat, findet auch nur schwer zu erholsamen gemeinsamen.
Keinen Rhythmus haben, bedeutet oft auch, sich schwer zu tun, angemessene
Prioritäten zu setzen. Dann folge ich - mehr oder weniger bewusst
- dem was von außen an mich herangetragen wird, bis ich erschöpft
feststelle, das etwas nicht stimmt. Für einen Lebensstil, der meine
Immunität stärkt, brauche ich auch das Gefühl für meine Rhythmen.
In der Teile-Arbeit wird die Bewusstheit dafür geweckt. Ich erfahre
über sie was mich erschöpft, und wie ich zu mir bekömmlichen Rhythmen
zurückfinden kann. |
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In der Teile-Arbeit lerne ich, wie ich für
meinen Immunschutz auf gute Weise sorgen kann. Ich erkenne die
unproduktiven Formen meiner Abwehr, erfahre, was mir wirklich
hilft, mich unterstützt, an Stellen wo ich schutzbedürftig bin.
Ich finde meinen Rhythmus. |
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5. Lob der Unterscheidung |
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Auf seiner gefahrvollen Reise zurück
in die Heimat, muss Odysseus mit seinem Schiff an der Insel der Sirenen
vorbeifahren. Niemand kann ihrem Gesang widerstehen. Wer ihren Stimmen
gelauscht hat, hat nur den einen Wunsch sich ganz mit deren Trägerinnen
zu verbinden. Besessen von diesem Verlangen springen die Unglücklichen
ins Meer und ertrinken. Peter Sloterdijk hat sich gefragt, wovon diese
Damen nur singen mögen, dass selbst das Wissen um das sichere Unglück
nicht hilft, die Getroffenen vom Sprung in den Untergang abzuhalten.
Das Ergebnis seiner Überlegungen ist ernüchternd. Sirenen sind Wesen,
die die Melodie ihres Gegenübers erfassen, besser als es selbst das
vermag. Sie bringen sie zum Klingen, voller als es der oder die Betreffende
selbst vermocht hätte. Auf ganz und gar einer Wellenlänge schwingen
sie im Rhythmus ihres Gegenübers. Das Lied, was der- oder diejenige
ist, erklingt in seiner ganzen Schönheit und Fülle. Im Banne der Sirenen
werden wir erfasst vom Verlangen nach uns selbst, nach dem was wir
im Tiefsten sind und sein können. Das ist das Geheimnis des unwiderstehlich
betörenden Sounds, der jedem Vorbeifahrenden zum unausweichlichen
Verhängnis wird. Der Schlag ins Wasser setzt ein, wenn er erkennt,
dass am anderen Ufer Niemand auf ihn wartet. Dennoch liegt dem Sprung
nicht nur Täuschung zugrunde.
Wenn der Geist und die Tat
eines Menschen übereinstimmen,
dann ist auch sein
persönlicher Schutzgott nicht weit.
Afrikanisches Sprichwort
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Der vom Klang Angerührte spürt in der Resonanz auf den Gesang der
Sirenen sein Potenzial. Er fühlt schlagartig die Person, die er sein
kann und er weiß instinktiv, dass er einen oder mehrere Andere braucht,
um es gemeinsam mit ihnen zu entwickeln. Das lässt ihn alles wagen.
Als Verliebte kennen wir alle diesen beflügelnden Näherausch. Ob wir
ihn gemeinsam überstehen hängt davon ab, wie viel wir wirklich teilen
können, und ob es uns gelingt, das unüberwindlich Trennende fruchtbar
werden zu lassen. Dort wo tatsächlich Jemand auf uns wartet, erklingen
immer auch die Misstöne unüberwindlichen Verschiedenseins. Ob sie
uns auf Dauer den letzten Nerv und damit unsere Energien rauben, oder
ob es gelingt, sie in bisher unbekannte Wohlklänge aufzulösen, entscheidet
über den Ausgang. Auf der Basis real empfundener Nähe sorgt das was
uns unterscheidet dafür, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt, sich
unsere Möglichkeiten erweitern, wir unsere Grenzen erkennen. Durch
die Belebung einer von Nähe und Differenz bestimmten Zwischenwelt
werden wir neu. Im Dialog gerade auch mit dem, was ich nicht bin,
erfahre ich nahrhafte Ergänzung, schöpferische Anregung, frische Kräfte
und neue Lösungsmöglichkeiten. Viele Beziehungen scheitern am Unvermögen
der Partner, die jeweilige Andersartigkeit fruchtbar werden zu lassen.
In der Teile-Arbeit begegne ich auch dem, was ich nicht bin. Der Kontakt
zum ganz anderen, die konstruktive, mich fordernde Auseinandersetzung
damit, lässt mein Leben reicher und erfüllter werden. |
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In der Teile - Arbeit begegne ich dem was
mir nah ist und was zugleich unüberwindlich fremd bleibt. Im
konstruktiven Dialog mit dem, was ich nicht bin, erfahre ich
die Möglichkeiten und Grenzen meiner Liebesfähigkeit. Ich erkenne
die Angebote sie zu erweitern. |
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6. Selbstbestimmt entscheiden verbindet |
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In seinem Film ‚Lola rennt' erzählt der Filmemacher
Tom Tykwer ein modernes Märchen. Wie alle Märchen handelt es vom schwierigen
Leben und wie es zu meistern ist. Den Rat den uns Tykwers Märchen
mit auf den Weg gibt ist einfach: Du musst dich entscheiden. Deine
Entscheidung zählt. Niemand kann sie dir abnehmen. Deine Entscheidung
berührt Andere. Wir stehen in Verbindung. Der Zufall ist das Zusammenwirken
einzelner, bedeutsamer und unbedeutender, bewusst gefällter und unbewusst
sich vollziehender Entscheidungen. Er ist Ausdruck einer undurchschaubaren
Verbundenheit. Je mehr wir uns für die Liebe entscheiden, um so mehr
fällt uns zu. |
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Vor dem Hintergrund dieses Märchens erscheint
unser Leben als das, was fremde und eigene Entscheidungen aus ihm
machen. Unser Tun und Lassen vollzieht sich in einem Feld unauflöslicher,
bekannter und unbekannter Verbindungen. Wir sind frei uns zu entscheiden,
und wir sind auf deutlich wahrnehmbare und unsichtbare Weise verbunden,
aufeinander angewiesen, voneinander betroffen. An den Stellen an denen
unser Leben ins Stocken gerät geschieht dies manchmal aufgrund einer
zu einseitigen, unangemessenen Gewichtsverlagerung. Dann sieht sich
Jemand allein gefordert, alles wieder ins rechte Lot zu bringen. Das
Leben wird zu einer Abfolge von Einzelkämpfen, die es zu bestehen
gilt. Oder Jemand sieht nur die Übermacht der Umstände, die ihn einschnürende
Verflochtenheit, aus der es kein Entrinnen gibt. Alles läuft immer
wieder auf die Einsicht hinaus, dass es keinen Ausweg, keine Alternative
gibt. In beiden Fällen ist unnötige Einsamkeit die Folge. |
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Der Mensch übersieht - wenn wir dem Grundgedanken
des Märchens folgen - sein Handeln nicht. Er schaut immer nur bis
zur nächsten Ecke und was dahinter kommt, bleibt verborgen und ungewiss.
Wenn wir uns entscheiden, tun wir das auch auf der Basis dessen,
was wir nicht wissen können, was aber dennoch in unsere Entscheidung
einfließt, sie in ihrer Wirkung beeinflusst. Sich entscheiden bedeutet
deshalb immer auch einen Schritt ins Ungewisse tun. Angst und die
Schwierigkeit, zu vertrauen machen uns zögerlich, lassen uns Sicherheit
suchen, im Vertrauten ausharren auch wenn wir insgeheim wissen,
dass die damit verbundene Stagnation uns nicht gut tut, vielleicht
sogar schon angefangen hat uns zu schaden. In der Teile-Arbeit mache
ich die Erfahrung, dass Entscheidung leichter fällt, wenn ich die
Richtung, die es einzuschlagen gilt erkenne. Ich werde mir meiner
Entscheidungsfähigkeit bewusst, lerne ein lebensbejahendes Risiko
von einer riskanten Flucht nach vorn zu unterscheiden. Über eine
zunehmende Entscheidungsbereitschaft erfahre ich Verbindung und
Zugehörigkeit.
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Teile-Arbeit lässt mich Richtung erkennen.
Dadurch ermutigt sie Entscheidung.
Ich erfahre Verbindung .
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In der Teile-Arbeit begegne ich dem Angebot, meine
Teilnahme am Leben auf eine mir entsprechende Art zu intensivieren.
In dem Prozess, den sie fordert und fördert kann mein Leben die gute
Wendung nehmen, die es mir ermöglicht, meiner Spur zu folgen und in
den Lauf, den sie nimmt immer besser einzuwilligen.
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